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Montag,
der 13. November 1989

Hans Modrow (61) wird von den Abgeordneten der Volkskammer bei nur einer Gegenstimme mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Der Dresdner SED-Parteichef galt bereits seit längerem im In- und Ausland als "Hoffnungsträger". Der reformfreudige, aufgeschlossene und selbstbewußte Mann, dem jeder Sinn für äußerliche Machtattribute abgeht, war lange Zeit gezielt vom Zentrum der Macht in Ostberlin ferngehalten worden. Noch im Frühjahr 1989 hatte ihn der ZK-Sekretär Günter Mittag wegen "schlechter Parteiarbeit" in seinem Bezirk öffentlich gerüffelt.

Einen besonders schweren Stand bei den Abgeordneten der Volkskammer hat dagegen der 82jährige ehemalige Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke. Er nimmt mit sichtbarer Verwunderung die zahlreichen Unmutsäußerungen zur Kenntnis, die er auf seine verharmlosende Darstellung der Staatssicherheit erntet. Zur Rechtfertigung ruft er schließlich verwirrt aus: "Aber ich liebe euch doch, ich liebe doch alle Menschen!"

Auf der Montagsdemonstration in Leipzig sind neue Töne zu hören: "Deutschland einig Vaterland" ist in schwarz-rot-goldener Schrift auf ein weißes Transparent gemalt, und es dauert auch nicht lange, bis ein Sprechchor daraus wird. Auf anderen Plakaten ist die Forderung "Abrechnung mit den Chaosverantwortlichen" und "Weg mit der SED" zu lesen.

In Dresden (100.000), Karl-Marx-Stadt (50.000), Wismar (20.000), Neuruppin (12.000), Schwerin (10.000), Cottbus (10.000), Magdeburg (10.000), Bautzen (10.000),Heiligenstadt (9000), Halle (8000), Sonneberg (7000), Apolda (5000), Pößneck (4000), Neubrandenburg (3000) und Zwickau (3000) verlangen die Demonstranten dauerhaft verbriefte Reisefreiheiten, "Westgeld für mündige Bürger", einen Volksentscheid über Artikel 1 der Verfassung (Führungsanspruch der SED) und baldige freie Wahlen.

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