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Donnerstag,
der 9. November 1989

Das SED-Zentralkomitee setzt seine Plenartagung fort. Doch nur 24 Stunden nach ihrer Wiederwahl ins Politbüro setzt die Bezirksbasis die 1. Sekretäre Hans-Joachim Böhme in Halle, Werner Walde in Cottbus und Johannes Chemnitzer in Neubrandenburg wieder ab.
Auch die langjährige Frauenbeauftragte des SED-Politbüros Inge Lange tritt von ihrem Posten zurück. Es herrscht allgemeine Konfusion.

Das neu formierte Politbüro einigt sich in einer Mittagspause darauf, mit einem Beschluß des Ministerrates kurzfristig eine neue Regelung für Westreisen in Kraft setzen zu lassen, um den anhaltenden Ausreisestrom über die CSSR künftig über die eigenen Grenzübergangsstellen abzuwickeln. Die Modalitäten dazu sollen am nächsten Tag von der Regierung bekanntgegeben werden.

Am Abend informiert Politbüromitglied Günter Schabowski über die Ergebnisse des ZK-Plenums. Kurz vor Ende der Pressekonferenz, exakt um 18:53 Uhr, wird er von einem italienischen Journalisten zum fehlerhaften Reisegesetzentwurf vom 6. November befragt. Daraufhin verkündet Schabowski, daß heute eine neue Entscheidung zur Regelung der ständigen Ausreise getroffen worden sei. Er verliest dann die eigentlich für den nächsten Tag bestimmte Pressemitteilung, wonach künftig Privatreisen auch ohne besondere Voraussetzungen bei der Polizei beantragt werden können. Auf die Nachfrage "Wann tritt das in Kraft?" antwortet Schabowski: "Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich."

Wenig später verkünden die Nachrichtenagenturen AP und dpa, die DDR habe ihre Grenzen geöffnet. Die Meldung wird zum Aufmacher der Hauptnachrichtensendungen am Abend. Tausende Ostberliner strömen daraufhin zu den Grenzübergängen, um sich von dem Unglaublichen vor Ort zu überzeugen. Doch dort ist alles verschlossen, denn die Offiziere haben bisher keinerlei Weisungen zur Öffnung erhalten.

Es spielen sich tumultartige Szenen ab. Tausende drängen von hinten nach, vorn am Schlagbaum wird es immer bedrohlicher. Keiner weiß genau, ob es sich nun um ein Gerücht, einen Versprecher oder tatsächlich um eine gültige Entscheidung handelt. Auch die Grenzsoldaten sind nicht aussagefähig und völlig überfordert. Eine halbe Stunde vor Mitternacht entschließen sich einzelne Grenzkommandanten, die Tore einfach zu öffnen. Die Meldung an die Zentrale lautet: "Wir fluten jetzt."

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