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Ökumenische Versammlungen

Von hoher Bedeutung für die Programmatik der Bürgerrechtsgruppen im Jahr 1989 sind die Vorarbeiten der "Ökumenischen Versammlungen“, die am Ende der 80er Jahre in Dresden und Magdeburg stattfanden.
Die evangelischen Kirchen der DDR machten 1983 auf der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im kanadischen Vancouver den Vorschlag, einen »konziliaren Prozeß gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« weltweit in Gang zu bringen.
Auf diese Anregung hin erarbeitete unter Leitung von Christof Ziemer der "Stadtökumenekreis Dresden“ eine Empfehlung an die Gemeinden in der DDR, in der diese aufgefordert wurden in ihrem Umfeld zu ermitteln, welche Reformen angesichts der Veränderungen der modernen Welt durchgeführt werden sollten.
Im Februar 1988 traten dann im Gemeindezentrum der Christuskirche Dresdens 150 Delegierte von 19 Kirchen und Religionsgemeinschaften der DDR zu einer ersten "Ökumenischen Versammlung“ zusammen. Journalisten blieben weitgehend ausgeschlossen. Die dort unter den Themen "Gerechtigkeit“, "Frieden“ und "Bewahrung der Schöpfung“ vorgetragenen "Zeugnisse der Betroffenheit“ stellten zwar keine direkte Kritik des Sozialismus in der DDR dar, konterkarierten jedoch deutlich das Bild einer heilen sozialistischen Welt.
Nach dem in Dresden bereits traditionellen Gedenkgottesdienst zum 13. Februar - 1945 war an diesem Tag die Stadt durch alliierte Flugzeuge schwer angegriffen worden - demonstrierten die Teilnehmer mit brennenden Kerzen zur Ruine der Frauenkirche. Alle Kirchenglocken der Stadt läuteten. Am Ende dieser ersten Sitzungsperiode waren - auf den Aufruf des "Stadtökumenekreis Dresden“ hin - insgesamt 10000 Zuschriften aus den Gemeinden eingegangen. Die Hauptthemen der Zuschriften waren: Entmündigung in Kirche und Staat, vorenthaltene Informationen, Benachteiligung von aktiven Christen in Schule, Ausbildung und Beruf, Ungerechtigkeiten der (Aus-)Reisepraxis und fehlende Rechtssicherheit.
Auch die zweite Sitzungsperiode der "Ökumenischen Versammlung“ musste - so wollte es die SED - unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Oktober 1988 in Magdeburg stattfinden.
Die dann dritte Sitzungsperiode der Versammlung im April 1989 fand erneut in Dresden statt und beschloss insgesamt zwölf Ergebnistexte. Insbesondere der Text unter dem Titel "Mehr Gerechtigkeit in der DDR - unsere Aufgabe, unsere Erwartung“, gegen den der DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen, erfolglos, Einspruch einlegte, war brisant. Das Schriftstück erkannte zwar an, dass in der DDR die Befriedigung materieller Grundbedürfnisse für alle gewährleistet sei. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass nicht alle Enttäuschungen, unter denen die Menschen litten, als "DDR-Spezifisch“ gelten könnten.
Unmissverständlich hieß es jedoch: "Der grundsätzliche Anspruch der Staats- und Parteiführung, in Politik und Wirtschaft zu wissen, was für den einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes notwendig und gut ist, führt dazu, dass der Bürger sich als Objekt von Maßnahmen, als ŽumsorgtŽ erfährt, aber viel zuwenig eigenständige, kritische und schöpferische Mitarbeit entfalten kann. Dadurch wird die Lösung anstehender sozialer, ökologischer und ökonomischer Probleme in unserem Land behindert, zugleich aber auch der Blick auf die weltweiten Probleme verstellt, in die auch wir unauflösbar verflochten sind. Die dadurch gegebene Spannung zwischen Regierenden und Regierten verhindert den inneren Frieden, beeinträchtigt aber auch den Hausfrieden im gemeinsamen europäischen Haus.“ Das Wort Diktatur hatte man nicht erwähnt, trotzdem war es ausgesprochen worden.
Weiterhin wurde formuliert, es fehle in der DDR an "Ehrlichkeit und Wahrheit“, "voller Rechtssicherheit“, "notwendigen Informationen“, "freimütigem und ehrlichem Meinungsaustausch“, "Mut zur Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten“, einer "klaren Trennung der Kompetenzen von Staats- und Parteifunktionen“, "freien Wahlen“, "gleichen Chancen für alle“ in Bildung und Erziehung, der "ungehinderten Möglichkeit, sich zu versammeln und in selbständigen Vereinigungen zusammenzutun“ und einer Umsetzung der KSZE-Beschlüsse. Deutlicher waren bis zu diesem Zeitpunkt die Demokratie-Defizite der DDR nicht benannt worden.
Zwar erreichten die während der "Ökumenischen Versammlungen“ ausgetragenen Debatten nur eine sehr eingeschränkte Öffentlichkeit. Es entstand durch diese Beratungen jedoch neben dem Netzwerk "Frieden Konkret“ eine weitere Vernetzungsstruktur und vor allem auch ein programmatisches Forum, das christliche Oppositionelle, kirchliche und nichtkirchliche Basisgruppen zusammenführte.
Die Kritik, die hier formuliert wurde, wies jedoch bereits weit über den kirchlichen Rahmen hinaus. Sie nahm die Trennung von Amtskirche und Oppositionsgruppen im Herbst 1989 bereits voraus.

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