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Mittwoch,
der 18. Oktober 1989

Am Morgen beklagt der bekannte Dresdner Wissenschaftler Manfred von Ardenne, er habe den Eindruck, daß der Ernst der Situation bis zur Stunde von der SED-Führung noch nicht erkannt sei. Es fehlten "wesentliche Taten und Veränderungen". Damit artikuliert er den Eindruck der Mehrheit der Bevölkerung.

Am Nachmittag kommt dann die Sensationsmeldung des Tages: Erich Honecker ist zurückgetreten. Zum neuen Generalsekretär des SED-Zentralkomitee wurde auf seinen Vorschlag Egon Krenz gewählt. Wie es in der Mitteilung über die ZK-Tagung weiter heißt, wurden auch die Politbüromitglieder und ZK-Sekretäre Günter Mittag (Wirtschaft) und Joachim Herrmann (Agitation) aus ihren Funktionen abberufen.

Damit ist das eigentliche Machtzentrum um Erich Honecker zerschlagen, eine ganze Epoche in der Geschichte der DDR beendet. Diese drei Männer hatten sich im Laufe der Jahre eine Befehlsgewalt angeeignet, die an klassischen Absolutismus grenzte.

Honeckers engster Vertrauter Günter Mittag dirigierte und überwachte 22 Wirtschaftsministerien, 224 Kombinate und 3526 Industriebetriebe. Über ein ähnliches Imperium verfügte Joachim Herrmann. Ihm unterstanden nicht nur sämtliche SED-eigenen und -nahestehenden Medien, sondern über die Schaltstelle Presseamt beim Ministerrat auch die Nachrichtenagentur, Rundfunk, Fernsehen sowie alle übrigen Zeitungen und Zeitschriften.

Per Telefon wies er allabendlich an, wie die Zeitungen des nächsten Tages auszusehen hätten, welche Größe das Honecker-Foto auf Seite eins haben sollte und wo eine unliebsame Meldung, die sich nicht verhindern ließ, im Innenteil zu verstecken war.
Am Abend zeigt das DDR-Fernsehen die erste öffentliche Erklärung von Egon Krenz in seiner neuen Funktion. Der frühere Chef des zentralen Jugendverbandes FDJ, der zuletzt im SED-Zentralkomitee für Sicherheits- und Kaderfragen zuständig war, läßt dabei wenig Gespür für die Erwartungen der Bevölkerung erkennen, gesteht aber erstmals Fehler in der politischen Führung ein: "Fest steht, wir haben in den vergangenen Monaten die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlußfolgerungen gezogen." Nebulös spricht er davon, daß er in der DDR eine "Wende" einleiten wolle.

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