www.das-erste.de www.chronik-der-wende.de www.chronik-der-wende.de english version

Konkret für den Frieden

Im März 1983 wurde es geboren, das größte Netzwerk kirchlicher und außerkirchlicher Friedens-, Ökologie- und Menschenrechts-gruppen der DDR: "Frieden konkret“. Am 5. und 6. Tag des Monats trafen sich zum Erfahrungsaustausch in Ostberlin 130 Menschen, die 37 Friedensgruppen der DDR repräsentierten. In verschiedenen Arbeits-gruppen diskutierten sie über Kirche und Frieden, gewaltfreie Konfliktlösung, Gesel-lschaft und Gewissen des einzelnen und darüber, ob Friedensarbeit gesellschafts-verändernd sei.
Mit diesem ersten Treffen schufen sie eine Tradition, über die seit 1981 verschiedene Oppositionelle nachgedacht hatten. Von nun an traf man sich jährlich ein Mal. Die Schirmherrschaft übernahm jeweils eine der evangelischen Landeskirchen. Das Netzwerk vereinigte am Ende der DDR an die 200 Gruppen.
Das zweite Treffen fand im März 1984, unmittelbar nach einer großen Kampagne des MfS gegen Friedensgruppen in Eisenach statt. Tausende von Ausreiseanträgen waren auf einen Schlag bewilligt worden, um die DDR-Opposition auszutrocknen. Ursprünglich sollte die Zusammenkunft den Titel tragen "Vernunft macht Frieden“. Wegen großer Widerstände kirchenleitender Stellen und natürlich der SED wurde jedoch "Konkret für den Frieden“ als Ersatztitel verwendet. 1984 trafen sich bereits 200 Delegierte.
Auch im März 1985 trafen sich wieder 200 Delegierte. Bei diesem Treffen nahmen bereits viele Vertreter von Ökologie und Dritte-Welt-Gruppen teil. Thematisch behandelte man: Verantwortung von Regierungen und Regierten in der sozialistischen Demokratie, Staatliche Sicherheitspolitik und persönliche Entscheidung, Ökologische Krise und eigener Lebensraum sowie Internationale Wirtschaftsordnung und unsere Interessen. Erstmals wurde auch ein "Fortsetzungsausschuß“ gewählt, der die Koordination zwischen den jährlichen Treffen übernahm und eigene thematische Arbeitsgruppen einrichtete.
Im März 1986 trafen sich erneut 200 Delegierte in Stendal, sie repräsentierten 120 Gruppen. Zum ersten Mal wurde intensiv über das Thema Menschenrechte gesprochen. Viele Teilnehmer berichteten über massive Behinderungen, Einschüchterungsversuche und andere repressive Maßnahmen staatlicher Organe gegenüber den Seminarteilnehmern und der Arbeit der Gruppen im Lande. Man beschloss die Vorbereitung und Teilnahme an einer "Ökumenischen Versammlung“ im Jahr 1988.
Das Treffen im Frühjahr 1987 war besser vorbereitet als alle anderen vorher. Das Motto lautete: "Weltweit denken - bei uns handeln - gemeinsam gehen.“ 200 Delegierte arbeiteten fasst wie auf einem professionellen Parteitag. Unzählige vorbereitete Anträge wurden umformuliert und abgestimmt. Es wurden sogar verschiedene Papiere abgestimmt, die Forderungen an staatliche und kirchliche Stellen richteten.
Unter dem Titel "Bedingungen des Friedens in unserer Gesellschaft“ wurde u. a. gefordert: l. mehr Öffentlichkeit, 2. Mut zu einem Leben in Wahrheit und Deutlichkeit, 3. Abschaffung des Bekenntniszwanges bei der Ideologievermittlung, 4. gesellschaftliche Strukturen müssen so verändert werden, dass die Grundwerte und moralischen Entscheidungen akzeptiert, 5. Veränderung der Arbeits- und Lebenswelt durch aktive Einmischung und Mitbestimmung.
Außerdem wurde in einer Eingabe an die Volkskammer die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit gefordert, sie sollte zur Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie im Interesse der gewachsenen Mündigkeit der Bürger beitragen. Die Forderungen des Seminars gingen weit über das hinaus, was in den evangelischen Kirchen der DDR damals Konsens war.
Im Februar 1988 traf man sich in Cottbus, unmittelbar nach einem Versuch des MfS im Herbst 1987 und im Januar 1988 koordinierende Strukturen der unabhängigen Friedensbewegung in Ostberlin zu zerschlagen. Das Thema des Seminars ergab sich aus dieser Situation: die politische Rolle der Gruppen. Das Zusammentreffen wurde von einem Großaufgebot der Staatssicherheit belagert. Die Debatte drehte sich um ein von Hans-Joachim Tschiche formuliertes Positionspapier mit dem Titel "Teilhabe statt Ausgrenzung“. Es fasste die politischen Forderungen der Gruppen zur Demokratisierung und ihre Verhältnisbestimmung zu Gesellschaft, Staat und Kirche zusammen. Eine knappe Mehrheit der Delegierten lehnte die Forderungen als zu weitgehend ab.
Man war damit an eine Grenze geraten: Sollte man sich als politische Opposition neben der Kirche formieren? Eben diese Debatte prägte das kommende Treffen im Februar 1989 in Greifswald. Der Vorschlag von Hans Jochen Tschiche, aus dem Seminar heraus eine "Vereinigung zur Erneuerung der Gesellschaft“ zu gründen wurde jedoch abgelehnt. Auch der von Markus Meckel am Rande des Seminars gemachte Vorschlag eine Sozialdemokratische Partei zu gründen, wurde verworfen. Auch die Vorstellung des Friedenskreises der ESG Chemnitz, eine "gesamtstaatliche Konsultativkonferenz“ einzuberufen (dieser Vorschlag nahm im Grunde die Einrichtung eines "Runden Tisches“ vorweg), wurde zurückgewiesen. Noch schien die Zeit für diese letzte Konfrontation mit der SED-Diktatur nicht herangereift zu sein. Acht Monate später war es soweit.

zurück
weiter